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December 08, 2007

Süddeutsche Zeitung, December 7, 2007

Ein Blick in den Rückspiegel:
Das German Theater Abroad tourte mit einem umgebauten Schulbus durch die USA


Ungefähr so hatte man sich das auch vorgestellt: Alle tragen nagelneue Cowboystiefel, an denen der Staub der Straße gerade so dekorativ haftet wie feingesiebter Puderzucker am glänzenden Dessertteller. Und viele klagen, dass sie ein paar Pfund zugelegt hätten, wegen des guten Essens und der langen Fahrten im Bus. Deutsche unterwegs in Amerika. Die meisten verschlafen die grandiosen Wildwest-Panoramen, die sich vor den Seitenfenstern in den Rahmen schieben, eingelullt von Bob Dylan, der - wie sich das für ein zutiefst romantisches Unternehmen gehört - aus den am Armaturenbrett festgezurrten Lautsprechern plärrt. Es sind Kulturpioniere, die hier reisen, und ihr Planwagen ist ein giftgrün lackierter amerikanischer Schulbus.

Auf den Weg gebracht hat sie Ronald Marx, der umtriebige Gründer des Vereins German Theater Abroad. Seit elf Jahren pendelt der hünenhafte Charmeur in transatlantischer Mission zwischen New York und Berlin und hält den Kulturaustausch in Gang. Alles hat klein angefangen, mit Lesungen in einem Ladenlokal im Prenzlauer Berg, jetzt rollt man seit sechs Wochen auf großer Fahrt durch die Vereinigten Staaten. Angetrieben vom frontier spirit und abgefedert durch Mittel der Bundeskulturstiftung, bringen Marx und sein Road Theater neue Dramatik aus der alten Welt in die Prärie, in der Hoffnung, dass ihre empfindliche Saat dem rauen Wind des Westens widersteht. Der derzeit erfolgreichste deutsche Dramatiker, Roland Schimmelpfennig, hat ihnen eigens ein Stück für den Road Trip geschrieben. Premiere von "Start Up" war Anfang Oktober in New York. Von da ging es westwärts, immer der Sonne nach, Ziel ist Kalifornien, wo der amerikanische Traum in den Pazifik fällt.

In zwölf Bundesstaaten und zwanzig Städten haben sie Station gemacht, in Nashville und Atlanta, Memphis und New Orleans, El Paso und Paris, Texas. Jetzt, nach 6000 Meilen, sind sie in Las Vegas angekommen. Nur ein paar Blocks liegen zwischen dem Aruba Hotel, wo das Road Theater Quartier bezogen hat, und den Megahotels am südlichen Ende des Strip. Und doch trennen Welten die schäbigen Motels am Las Vegas Boulevard North vom Glamour der Stadt; die Neonschriften leuchten hier nur noch fahl in die Wüstennacht. Rechts ein Adult Superstore, links ein Strip-Lokal. An der Einfahrt posiert vor einem alten Cadillac eine angeleuchtete Marilyn-Puppe, der ein Ventilator unentwegt den Rock nach oben weht.

Theater auf Rädern

Am Hoteleingang weisen nur zwei unscheinbare Din-A3-Zettel darauf hin, dass hier heute Abend Theater gespielt wird. Hinterm Haus schläft der Tour-Bus, den Ronald Marx liebevoll als "sechsten character" des fünfköpfigen deutsch-amerikanischen Ensembles bezeichnet. Mit seinen harten Sitzbänken und seinem behäbigen Diesel ist der alte Schulbus nicht gerade das geeignete Verkehrsmittel, um einen Kontinent zu erobern. Doch ein alter Schulbus, erzählt Marx, sei von Anfang an sein Traum gewesen. Schließlich waren schon die Hippies um Ken Kesey, dem Autor des Buches "Einer flog über das Kuckucksnest", in den Sechzigern mit einem bunt bemalten Schulbus in den USA unterwegs. Tom Wolfe begleitete die Reisen der Merry Pranksters und hat darüber sein Buch "Unter Strom" geschrieben. Marx will die Legenden einholen, die den Weg nach Westen vorgespurt haben.

"Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mit 28 Jahren Vater von 13 Kindern werden würde", sagt Dan, der amerikanische Regieassistent, und rechnet dabei Busfahrer Tom mit dazu, einen gleichmütigen Schrat mit langem grauen Zopf. "Tom hat fünfzehn Jahre mit Behinderten gearbeitet und ist also prädestiniert", witzelt ein Kollege vom ZDF, das die Reise dokumentiert.

Hinter dem rohen Estrich einer Bierschwemme versteckt sich ein trashiger Tanzsaal. Reste fluoreszierender Disko-Deko und morsche Clubsessel - ganz nach dem Geschmack von Theaterberlinern. Im Foyer wartet eine Rentnergruppe deutscher Ausgewanderter. Normalerweise, sagt eine von den Damen, würde sie keinen Fuß in diese Gegend setzen. Ihr Mann verkündet, dass Kaiserslautern nur 0:0 gegen Mainz gespielt habe und nippt an seinem Bier. Später, als auf der Bühne die einzige politische Bemerkung des Stücks fällt, wenn nämlich Micha hinter vorgehaltener Hand von der "false evidence" irakischer Superwaffen spricht, die Bush in den Irak einmarschieren ließen, erhebt sich der Kaiserlautern-Anhänger wie aufs Stichwort und verlässt geräuschvoll den Saal. Man weiß nicht, ob das Missfallen ihn treibt oder nur das Bier. Das sei jedenfalls bislang noch nicht vorgekommen, versichert Ronald Marx hinterher. In Alabama sei ihre Veranstalterin vor Ort eine erklärte Bushianerin gewesen. Und in Oklahoma sei ein Ex-Sheriff bewaffnet in die Vorstellung gekommen. Und obwohl er noch nie die Grenzen seines Bundesstaates verlassen habe, sei er kein reaktionärer Hinterwäldler gewesen, sondern von einer Offenheit und Liberalität, die ihnen immer wieder begegnet sei.

Mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, bezeichnet Marx als das eigentliche Ziel des Theatertrips. Dafür habe ihnen Roland Schimmelpfennig ein sehr gutes Werkzeug in die Hand gegeben mit seinem Stück. In Las Vegas ahnt man, warum Schimmelpfennig sich beim Schreiben von der Diplomatie die Hand führen ließ. Nur 22 Zuschauer haben überhaupt den Weg ins Aruba gefunden. Und an der Sprache kann es nicht gelegen haben, denn gespielt wird auf Englisch.

Die Inszenierung von Ronald Marx betont spielerisch den selbstreferentiellen Charakter des Stücks. Mittels Videotechnik erzeugt sie permanent Rückkopplungen zwischen Realität und Fiktion. Im Video sieht man Nils Nellessen mit einem leeren Wasserkanister durch die Wüste stapfen. Da reitet Nicolai Tegeler mit steifem Rücken durch die Prärie, während Lisa-Marie Janke in einem Diner Kaffee ausschenkt und vor den Tresengästen über Amerika philosophiert. Die drei deutschen Schauspieler spielen drei deutsche Schauspieler, die wie ihre realen Vorbilder mit einem Bus durch die Staaten touren, um ihre nationale Eigenart zu vermarkten. Jedoch nicht in Form von Pumpernickel oder Kuckucksuhren, sondern mit Hochkultur. Micha, Rob und Kati wollen in einem Ladenlokal am Rand einer Provinzstadt ein Theater eröffnen. "Eine Zapfsäule mitten in der Wüste, eine Kulturstation. Benzin für den Kopf", platzt es aus dem von Nicolai Tegeler gespielten Traumtänzer Micha heraus. Er gibt den pausbackig-naiven Kulturvermittler mit umgehängter Freitag-Tasche, auf der Bundeshauptstadt Berlin steht neben einem Aufkleber des Eisbären Knut.

Schimmelpfennig ironisiert das kulturelle Sendungsbewusstsein der Deutschen, wenn er Micha sagen lässt, es sei Verrat an dem Volk, das sie von Hitler befreit habe, wenn man als Deutscher in den USA einen Videoladen aufmache. Denn eine Videothek sei das einzige kulturelle Angebot, das in dieser Ecke der Stadt eine reele Chance habe, hatte Vermieter Ike (Roland Sands) zu bedenken gegeben. Dass ausgerechnet die deutschen Gäste die so pragmatischen Amerikaner an ihren verlorenen Idealismus, der einst die Berliner Luftbrücke und den Marshall-Plan Wirklichkeit werden ließ, glauben erinnern zu müssen, ist besonders lustig, wenn man weiß, dass sie auch mit Mitteln des European Recovery Programms reisen, besser bekannt unter dem Namen Marshallplan.

Anders als im wahren Leben, in dem sie staatlich gefördert werden, fehlt den Schauspielern im Stück das Geld für die Ladenmiete. Außerdem knurrt den Hungerkünstlern der Magen. Das Stück endet mit einer warmen internationalen Mahlzeit aus Burritos und Pommes für alle und einem Frauentausch, der den kulturellen Patt besiegelt. Während Micha und Rob einsehen, dass sie wohl besser weiterziehen, aber immerhin Ikes Tochter Liz (Myxolydia Tyler) bekehren, die glaubt, die Theaterskepsis ihres Vater sei nur eine Folge geschmackspolitischer Manipulation, bleibt die von Lisa-Marie Janke als burschikoses Cowgirl gespielte Kati bei Ike. Sie wird die Videothek aufmachen und als Ersatztochter in Liz' Zimmer wohnen.

Schrottplatz der Verheißung

Der Plot ist so dünn ist wie der Perlmuttlack auf einem Spielchip im Casino. Aber Schimmelpfennig jongliert leichtfüßig mit den aufs Gramm genau ausgewogenen deutsch-amerikanischen Stereotypen und dosiert die Zumutungen postdramatischer EU-Standards als kulturpolitischen Einfuhrzoll. Das deutsche Theater sei allemal ästhetisch "weiter", klagt Dan. "Unsere Dramatiker stecken noch immer im Naturalismus fest und wollen nicht verstehen, dass Fernsehen und Film das besser können." Das deutsche Theater empfänden seine Landsleute als übercodiert, dogmatisch und autistisch. Dabei hat "Start Up" viel Witz und wird von den drei deutschen und zwei amerikanischen Schauspielern fein dargeboten. Doch nuanciertes Spiel und sympathische Low-Tech mussten an Vegas zerschellen, der Welthauptstadt des industriellen Entertainment. Man ist hier ziemlich Off-Goethe-Institut.

Die Hauptschlagader der Stadt, der Las Vegas Boulevard, ist nicht nur eine Straße, er ist auch sein eigener Zeitstrahl. Auf ein paar Kilometern drängen sich sämtliche Lebensphasen des Mythos Las Vegas, von der Geburt bis zum Verfall, als würde der Autokorso die verbrauchten Legenden vor sich her schieben, um Platz zu schaffen für neue. Am südlichen Ende ist der Strip ein Gärungsherd, an dem sich Vegas permanent neu hervorbringt, weiter im Norden, wo die alten Casinos stehen, musealisiert er sich selbst. Und noch ein Stück weiter findet sich der sogenannte neon graveyard, nicht mehr als ein Stück umzäuntes Brachland, auf dem die verschrotteten Neonschrifen gelagert werden.

Vom Aruba Hotel sind es nur ein paar Blocks bis zu diesem Dinosaurier-Friedhof. Jason, der Stage Manager des Road Theatre, ist zufällig darauf gestoßen, als er bei einer Online-Schnitzeljagd mit Google Earth die Straßen von Vegas durchkämmte. Als Anfang der Neunziger mit der Sprengung der großen Casinos begonnen wurde, taten sich ansässige Künstler zusammen, um die Neonschriften zu retten. Irgendwann soll einmal ein Freilichtmuseum daraus werden, erzählt die Verwalterin, als sie das Vorhängeschloss löst, bis jetzt ist der Ort nicht für die Öffentlichkeit geöffnet.

Als der exzentrische Milliardär Howard Hughes 1966 eine Suite im Desert Inn von Las Vegas bezog, fühlte er sich von der blinkenden Leuchtreklame dermaßen gestört, dass er das Hotel kaufte, um das Licht löschen zu können. Der silberne Damenslipper, um den es damals ging, steht zwischen rostigen Lettern aus Blech und Glasfaser. Die Szene wirkt, als wäre der Märchenprinz nie gekommen, der einer Cinderella-Riesin ihren verlorenen Schuh zurückgibt und sie zur Frau nimmt.

Fast wäre der Bus vorbeigefahren an Death Valley Junction, der nächsten Station mitten im Nichts, wo es nur Präriegras gibt und unendliche Weite, ab und zu ein shooting range. Death Valley Junction ist nicht mehr als eine unbeschilderte Straßenkreuzung im Nirgendwo. In den zwanziger Jahren gab es hier eine Borax-Miene, von der ein paar verfallene Gebäude zeugen. Gegenüber der langgezogene Pueblo-Bau des Hotels, notdürftig instand gehalten. 1966 hatte die New Yorker Primaballerina Marta Becket hier eine Reifenpanne. Sie verliebte sich in den Ort und blieb als einzige Einwohnerin, um im Saal des Hotels ihr "Amargosa Opera House" zu eröffnen. Sei vierzig Jahren spielt sie hier eine bizarre Mischung aus klassischem Ballett und Pantomime, drei Vorstellungen gibt es in der Woche, ihr Publikum hat sie sich an die Wände des Zuschauerraums gemalt. In ihrem Allerheiligsten darf das Road Theater nur unter der Auflage spielen, die Bühne nicht einmal zu berühren.

Marta Becket selbst zeigt sich an diesem Abend nicht. Also spielt man inmitten des kleinen Theater-Schmuckkästchens, in dem ein großer Kanonenofen brennt. Das zahlende Publikum besteht aus einem kanadischen Ehepaar, den einzigen Gästen im Hotel. Die Vorstellung ist fahrig und unkonzentriert. Zum Trost hat Ronald Marx in der höhlenartigen Hotelküche für alle gekocht. Es ist Zeit, dass sie nach sechs Wochen harter Arbeit am Mythos Amerika in Los Angeles ankommen, wo zwei Tagen später die Tour endet. "Es wird bald Schnee geben", sagt Robert, der sich ums Haus kümmert, und zieht den Hut tiefer in die Stirn. Die Vorstellung fand er "convincing", aber jetzt muss er nach den Pferden schauen und Holz nachlegen in dem riesigen Kamin in der Lobby.

Am Morgen ein Himmel aus blau eloxiertem Aluminium. In der Mikrowelle kreiselt einsam der Styroporbecher mit dem Wasser für den Instant-Cappuccino. Gegenüber, in der Garage, steht noch das Auto, mit dem Marta Becket damals hier ankam, der Reifen ist nie geflickt worden. Warum auch? Die 83-jährige Grande Dame der Wüste wird hier nicht mehr fortgehen. Die Theaterleute aber bleiben nur noch einen Tag. Den tiefsten Punkt des Kontinents haben sie dann hinter sich.

VON CHRISTOPHER SCHMIDT

 
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