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October 12, 2007

Frankfurter Allgemeine Zeitung October 11, 2007

Premiere in New York
Hilfe, die Deutschen kommen im Bus!
Von Jordan Mejias, New York

Das ZDF ist auch dabei: Schimmelpfennigs Kultur-Bus

11. Oktober 2007

Lustiges, Ulkiges, Urkomisches hat das amerikanische Theaterpublikum gern, ob am Broadway oder bei einer sogenannten Performance in einem Atelier. Wenn ihm also nicht nur ein Stück, sondern ein Theaterabenteuer als hilarious angekündigt wird, ist das bereits die halbe Miete. Aber wie wäre die andere Hälfte zu bezahlen? Die Frage stellt sich umso dringender, als der zuständige Dramatiker aus Deutschland kommt. In jenen Breiten soll ja eher das Gegenteil von lustig geschätzt werden.

Alles nur Klischees? Das führt nun direkt zum Thema, dem sich Roland Schimmelpfennig in „Start Up“ widmet, seinem neuesten Theaterstück, das seine Uraufführung in New York erlebte. Oder zumindest eine seiner Uraufführungen. Denn was nächste Woche am Nationaltheater in Mannheim über die Bühne geht, wird mit den anderthalb Stunden im Performance Space 122, dem noch malerisch verschmuddelten Theaterlabor auf der Lower East Side, wohl kaum übereinstimmen. Es ließe sich sogar ohne größeres Risiko voraussagen, „Start Up“ sei in Amerika ein völlig anderes Produkt als in Deutschland. Nicht nur weil Schimmelpfennigs Text von Daniel Brunet geschickt ins Amerikanische übertragen wurde. „Start Up“, obwohl in New York sozusagen uraufgeführt, befindet sich weiterhin im Entstehen und bedient sich dabei neuester Technik.

Theater in Echtzeit und Video
Es beginnt auf der Straße vor dem sanierungsbedürftigen Backsteinbau. Dort steht ein grünlackierter Schulbus, der Thespiskarren des „German Theater Abroad“. In ihm wird die deutsch-amerikanische Truppe die kommenden sieben Wochen durch Amerika fahren, zwischendurch in einem verfallenen Casino in Las Vegas oder einer Galerie an der mexikanischen Grenze oder in einem Dorfgemeinschaftshaus in Arizona „Start Up“ aufführen und zugleich weiter entwickeln. Im Gepäck haben die fahrenden Komödianten nämlich nicht bloß ein paar Videokonserven, die es zwischen den live gespielten Szenen zu kosten gibt. Videokünstler begleiten die Tournee, und zwar so, dass sie sogleich in die Darbietung einfließen kann. Und als wäre das nicht genug, reist das ZDF mit, um das Ganze zu dokumentieren, und auch das Internet ist dabei.

Theater also in Echtzeit und in Video, sowohl aufgezeichnet als auch simultan, vermischt Gespieltes und Erlebtes. Damit aber nicht genug. Schimmelpfennig verarbeitet in „Start Up“ auch die Sisyphusarbeit des „German Theater Abroad“, eines transatlantisch aktiven Ensembles, das sich seit elf Jahren müht, den Kulturaustausch zwischen Amerika und Deutschland in Schwung zu bringen. Der deutsche Theaterbus rollt unter der Regie von Ronald Marx folglich durch Amerika ebenso wie durch die mal mehr, mal weniger fiktive Handlung.

Diese kreist um drei junge Deutsche, die es nach Amerika verschlagen hat. Auch seiner Mythen wegen. Gleichwohl legen es Kati, herb realistisch gemimt von Lisa-Marie Janke, und Rob, missionarisch verträumt gespielt von Nils Nellessen, und Micha, im missionarisch dozierenden Ton vorgeführt von Nicolai Tegeler, in ihrer Abenteuerlust darauf an, die amerikanischen Barbaren, für die sich das Leben in Angebot und Nachfrage erschöpft, mit deutscher Theaterkultur zu versorgen. In einem namenlosen Kaff treffen sie Ike, gespielt von Roland Sands, einen schwarzen Vietnamveteranen, der ihnen einen leeren Laden vermieten will, weil er Geld braucht, um das Gebiss seiner Tochter Liz, die von Myxolydia Tyler ungehemmt forsch hingestiefelt wird, karrieretauglich herrichten zu lassen. So bekommt das teutonische Trio reichlich Gelegenheit, in seinem importierten Überlegenheitsgefühl zu schwelgen.

Allzu dick aufgetragen
Wäre da nicht das Geld, das den Theaterexperimentatoren fehlt. Ihre Geschäftsidee: Sprit für den Kopf. Eine Kulturtankstelle. Es kommt, wie es kommen muss. Die Amis sind weniger doof, als von Berlin aus gedacht. Ike offenbart sich geradezu als Quelle der Lebensweisheit, und Liz verzehrt Micha auf dem Sofa, bevor er begreift, was ihm an vollends unpuritanischer Gastfreundlichkeit widerfährt. Allmählich verwischen sich die Nationalunterschiede, dafür formiert sich das Personal nach Charakterzügen. Kati, die Realistin, trennt sich von den beiden Phantasten, bleibt bei Ike und versucht es mit der Sesshaftigkeit. Liz schließt sich Rob und Micha an, um Amerika zu ergründen. Und sich selbst, klar. Nicht umsonst hat Jack Kerouacs Kultfahrtenbuch „On the Road“ dieses Jahr seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert.

Unterwegs im Auftrag der Kunst sind derzeit auch der amerikanische Filmemacher Mark Simon und der deutsche Medienkünstler Florian Thalhofer, der Erstere per Automobil durch Deutschland, der andere per Motorrad durch Amerika. „Start Up“ liegt somit voll im Trend. Deswegen führt das multimediale Spiel mit den Vorurteilen und Klischees, das Schimmelpfennig betreibt, nicht automatisch zu neuen, ungeahnten Einsichten.

Allzu dick aufgetragen ist die kulturmissionarische Naivität der drei Deutschen, allzu vorhersehbar der Wechsel im Kontrastprogramm. Oder will Schimmelpfennig, ein amerikanisches Provinzpublikum vor Augen, einen Jux sich mit einem pädagogisch wertvollen, binational verwendbaren Volksstück machen? Sollte das den ausgiebigen Lichtbildervortrag erklären, mit dem Micha, alles andere als uneigennützig und bestenfalls streckenweise lustig, einen Abriss der deutsch-amerikanischen Geschichte in einen Aufruf zur Völkerverständigung münden lässt? Aber vor dem kritischen Resumee, das nächstes Jahr nach der Darbietung des um die Reiseerfahrungen erweiterten Werks in Berlin zu ziehen wäre, sind noch sechstausend Meilen abzufahren. Darum jetzt nur: Gute Reise!

Text: F.A.Z., 11.10.2007, Nr. 236 / Seite 37
Bildmaterial: Jordan Mejias

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